Später
„Scheiße,
das kannst du doch nicht machen, was soll denn das?“
Sie
fuchtelt mit so einem langen Holzstück herum und trifft ihr Weinglas
genau in der Mitte. Die Splitter liegen auf dem Boden. Sie lacht.
„So
will niemand aussehen!“
„Warum
denn? Jeder darf sich das aussuchen, haben wir gesagt. Wenn du
aussehen willst wie Sophie Marceau, darf ich aussehen wie Karl Ove
Knausgard.“
„Aber
der sieht furchtbar aus. Ungepflegt und eklig. Guck mal seine Haare
an, wenn du später so aussiehst, denken alle du bist obdachlos.“
„Wenn
ich dabei so aussehe, bin ich gerne obdachlos.“
„Du
erzählst Schwachsinn. Du willst also später mal obdachlos sein, so
stellst du dir deine Zukunft vor?“
„Das
habe ich nicht gesagt, ich hab nur gesagt, dass ich in Kauf nehmen
würde, obdachlos zu sein, wenn ich dafür aussehe wie Karl Ove
Knausgard.“
Sie
hebt eine Scherbe auf, legt sie auf den Tisch und trinkt einen großen
Schluck aus meinem Glas.
„Aber
jetzt mal im Ernst, ist es dir so wichtig wie du später aussiehst?“
„Natürlich,
das ist doch das, was die Menschen zuerst sehen. Und dann stellen sie
sich vor, wie dieser oder jener Mensch wohl sein mag. Und wenn du
aussiehst wie Karl Ove Knausgard, dann denken alle: Wow, der hat
sicher etwas zu sagen, jede Weisheit hat eine Kerbe in
seine Wangen gegraben. Das Gesicht sagt: Ich
habe gelitten. Und gelebt.“
Sie
presst ihren Handballen vor den Mund und macht ein Furzgeräusch.
„Das
ist so ein Bullshit. Wenn du schön bist, so wie Sophie Marceau zum
Beispiel – ich meine, sie ist kaum gealtert, ein bisschen so wie
Natalie Portman, die wirklich schönen Gesichtszüge haben sie nie
verändert – wenn du so schön bist, dann sagen sich alle: Wow, die
hat ihr Leben geschätzt, sie hat gelebt und sich selbst geliebt, mit
jeder Faser ihres Körpers. Sie konnte sich ihre Schönheit bewahren.
Das ist Ewigkeit, sozusagen.“
„Ewigkeit
wirkt doch absolut lächerlich, wenn man so alt ist. Ist es auch noch
Ewigkeit, wenn Sophie Marceau wunderschön im Sarg liegt?“
„Genau
das meine ich ja! Natürlich ist es dann noch Ewigkeit, weil sie
immer noch schön ist. Und die Angehörigen und Freunde, alle die sie
kannten, wissen, dass sie – auch wenn sie nicht mehr lebt – immer
so schön bleiben wird. Und wenn die Freunde und Angehörigen von
Karl Ove Knausgard an ihn denken, nach seinem Tod, dann denken sie,
er hätte vielleicht länger leben können, wenn er nicht soviel
Chesterfields geraucht oder weniger Pepsi getrunken hätte. Die einen
werden für immer bewundern und die anderen werden für immer
bereuen.“
„Du
kannst ganz schön melodramatisch sein, so kenne ich dich gar nicht.“
Ich
gieße mir noch mehr Wein ein und schiebe ihr das Glas zu. Sie
hat so kleine rote Flecken auf den Wangen, wenn sie sich unverstanden
fühlt.
„Vielleicht
ist es einfach so ein Männer-Frauen-Ding“, sage ich dann,
„vielleicht wollen Frauen einfach Ewigkeit und Männer Zerstörung.“
„Und
du nennst mich melodramatisch?“
Plötzlich
hören wir das leise Quengeln aus dem Zimmer am Ende des Flurs. Der
Kleine ist wachgeworden. Wir schauen uns kurz in die Augen, sie hat
diesen Blick, der mir manchmal vorkommt, als hätte ich ihr Vertrauen
gebrochen, aber sie traut sich nicht, darüber zu reden.
„Ich
gehe“, sage ich und stehe auf. Sie zündet sich noch eine Zigarette
an, drückt sie aber nach einem Zug wieder aus.
„Ok,
ich gehe das nächste Mal.“
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