Monster


Lino kommt meistens spät von der Arbeit. Er öffnet leise die Tür, denn er will Tara nicht aufwecken. Er legt seinen Mantel über das Sofa, damit die Kordeln nicht an die Holzverkleidung der Garderobe schlagen, davon ist sie schon einmal aufgewacht. Er schnürt seine Schuhe leise auf und schiebt sie unter den Tisch im Flur. Das fällt ihm manchmal schwer, wenn er bei der Arbeit getrunken hat, dann muss er sich auf den Boden setzen, um nicht umzufallen. Meistens geht er noch in die Küche, nimmt ein Bier aus dem Kühlschrank, umfasst den Flaschenhals und den Öffner mit der ganzen Hand und hebt den Deckel leise an, ohne dass es ploppt. Das ist wichtig, davon ist Tara schon einmal wach geworden. Wenn er dann seinen ersten Schluck nimmt, kommt es ihm manchmal vor, als wäre er wieder alleine. Die Flasche trinkt er meistens sehr schnell aus, weil er schon müde ist und dann geht er ins Badezimmer, wäscht sich mit einem großen Schluck Mundwasser den Mund aus und geht zu Tara ins Bett. Meistens wacht sie einmal kurz auf, sagt: „Na, wie war‘s?“, aber Lino antwortet nicht, weil er weiß, dass sie schon wieder einschläft, sobald sie diese Worte gesagt hat. Dann liegt er noch eine Weile da, streichelt manchmal ihren großen runden Bauch und fühlt dabei kurz über den herausstehenden Bauchnabel, obwohl er weiß, dass sie das nicht mag. Aber wenn er ganz schnell ist, merkt sie es nicht. Es ist schwieriger, wenn sie sich den Bauch frisch eingecremt hat, weil dann die Hände nicht so leicht über die gespannte Haut gleiten. Manchmal schaut er auch auf diese Kugel, die unter der Decke liegt und ist sich nicht sicher, ob da vielleicht ein Monster drin ist. Man weiß es ja nicht, denkt er. Da wächst etwas heran, das wahrscheinlich älter wird als er, das länger leben wird. Was wenn es ein Monster ist? Manchmal steht er auch noch einmal auf, geht noch einmal in die Küche und trinkt noch eine Flasche Bier. Und dann denkt er an Martin bei der Arbeit, der ihn gefragt hat: „Und wie ist es so, Vater zu werden?“ und daran, wie er antwortete: „Ganz ok, aber kann einem schon ne Heidenangst einjagen.“ - „Du machst das schon“, sagte er dann, aber er wusste nicht, wie Lino das meinte. Er balanciert die leere Flasche auf ihrem unteren Rand über den Tisch, als Tara in die Küche kommt. „Du bist noch wach?“, sagt sie, „komm ins Bett.“ Er geht ins Bett, er ist für sie da. Das ist nicht das Problem. Er küsst sie und ihren Bauch, er sagt: „Wenn das kleine Ding nur halb so schön wird wie du!“ oder „Du wirst eine großartige Mutter abgeben!“ Aber wenn sie dann wieder eingeschlafen ist, wird es still. Dann ist da nichts mehr und er schaut an die Decke, die gute alte Decke.

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