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Es werden Posts vom Mai, 2020 angezeigt.

Tagesform

Ich bin kein abergläubischer Mensch. Die meisten sogenannten Wahrheiten glaube ich nicht. Die beste Art, mit dem Leben umzugehen, ist, alles zu nehmen wie es kommt, hat meine Mutter immer gesagt. Denk nicht groß nach, sagte sie, mach was draus. Ich schlafe abends ein und bin einsam. Ich stehe morgens auf und bin einsam. Einsamkeit ist eine Konstante, wenn man so will, die einzige Konstante in meinem Leben. „Sei nicht immer so grüblerisch“ hat Marie gesagt, als sie ausgezogen ist. „Ich bin nicht grüblerisch“, habe ich geantwortet. „Weißt du“, habe ich dann gesagt, „wenn du in mein Alter kommst, haben sich viele Dinge verändert und was du für selbstverständlich gehalten hast, ist dann irgendwie anders. Bis man dahinter kommt, was eigentlich anders ist, ist alles schon zu spät.“ Sie hat mich nur angelächelt, weil sie schon immer stärker war als ich, ich weiß nicht, wie solch ein Mensch aus meinem Bauch kriechen konnte. Sie hat sich mit Freunden auf dem Balkon getroffen, hat abends mit

Bleib bei mir

„ Home Cooking Day!“, hat Becca gesagt, als wir nicht mehr wie jeden Sonntag in die Pizzeria um die Ecke gehen konnten. Wir schälten Kartoffeln, von denen ich gar nicht wusste, dass wir sie noch im Schrank hatten und aßen Quark mit Leinöl dazu, sogar mit frischen Kräutern von unserem Balkon. „Wenigstens haben wir genug Wein“, sagte sie, „und Zitronen haben wir auch ne Menge, gegen Skorbut.“, dabei rüttelte sie an ihrem Schneidezahn, um zu sehen, ob er schon lose ist, „… und natürlich für Cocktails.“ Sie hielt mir das leere Glas hin. „Ich verstehe nicht“, sagte sie, „wieso alle Klopapier kaufen, das ist doch nun wirklich das geringste Problem. Ich könnte mir für den Rest meines Lebens mit der Hand den Arsch abwischen.“ „ Auch wenn wir kein Wasser mehr hätten?“ „ Klar, dann würde ich warten, bis es regnet und mir die Hand in der Regenrinne waschen. Außerdem würde ich die linke zum Arschabwischen nehmen und mit der rechten essen, dann kann nichts schiefgehen.“ Sie roch an ihrer Han

Parasit

Lucy ist gerade nicht da, sonst würde ich sie mal nachsehen lassen. Einen Spiegel haben wir leider nicht. Wir hatten mal einen, aber den hat Lucy irgendwann einmal mitgenommen und nicht wiedergebracht. Ich halte mir ein Colaglas vor das Auge, aber es spiegelt nicht genug, als dass ich was erkennen könnte. Ich ziehe mir eine Hose und ein T-Shirt an und klopfe bei Sascha, der nebenan wohnt. Er macht mir die Tür auf, wie immer im Bademantel, weil er das Haus nicht oft verlässt und irgendwie von zu Hause arbeitet. „ Hi Sascha, vielleicht habe ich irgendwie etwas angefasst und das war nicht in Ordnung oder so. Auf jeden Fall juckt mein Auge und mein Augenlid hängt irgendwie in der Ecke fest, es bewegt sich kaum, aber nur links, rechts ist es in Ordnung. Siehst du was?“ Er schüttelt den Kopf und knallt die Tür zu. Ich gehe wieder in meine Wohnung und schlage noch einmal mit meinem Handballen gegen die Wand aus Wut, weil er mir nicht helfen wollte. „ Lass mich in Ruhe, du Scheißjunkie“