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Tagesform

Ich bin kein abergläubischer Mensch. Die meisten sogenannten Wahrheiten glaube ich nicht. Die beste Art, mit dem Leben umzugehen, ist, alles zu nehmen wie es kommt, hat meine Mutter immer gesagt. Denk nicht groß nach, sagte sie, mach was draus. Ich schlafe abends ein und bin einsam. Ich stehe morgens auf und bin einsam. Einsamkeit ist eine Konstante, wenn man so will, die einzige Konstante in meinem Leben. „Sei nicht immer so grüblerisch“ hat Marie gesagt, als sie ausgezogen ist. „Ich bin nicht grüblerisch“, habe ich geantwortet. „Weißt du“, habe ich dann gesagt, „wenn du in mein Alter kommst, haben sich viele Dinge verändert und was du für selbstverständlich gehalten hast, ist dann irgendwie anders. Bis man dahinter kommt, was eigentlich anders ist, ist alles schon zu spät.“ Sie hat mich nur angelächelt, weil sie schon immer stärker war als ich, ich weiß nicht, wie solch ein Mensch aus meinem Bauch kriechen konnte. Sie hat sich mit Freunden auf dem Balkon getroffen, hat abends mit

Bleib bei mir

„ Home Cooking Day!“, hat Becca gesagt, als wir nicht mehr wie jeden Sonntag in die Pizzeria um die Ecke gehen konnten. Wir schälten Kartoffeln, von denen ich gar nicht wusste, dass wir sie noch im Schrank hatten und aßen Quark mit Leinöl dazu, sogar mit frischen Kräutern von unserem Balkon. „Wenigstens haben wir genug Wein“, sagte sie, „und Zitronen haben wir auch ne Menge, gegen Skorbut.“, dabei rüttelte sie an ihrem Schneidezahn, um zu sehen, ob er schon lose ist, „… und natürlich für Cocktails.“ Sie hielt mir das leere Glas hin. „Ich verstehe nicht“, sagte sie, „wieso alle Klopapier kaufen, das ist doch nun wirklich das geringste Problem. Ich könnte mir für den Rest meines Lebens mit der Hand den Arsch abwischen.“ „ Auch wenn wir kein Wasser mehr hätten?“ „ Klar, dann würde ich warten, bis es regnet und mir die Hand in der Regenrinne waschen. Außerdem würde ich die linke zum Arschabwischen nehmen und mit der rechten essen, dann kann nichts schiefgehen.“ Sie roch an ihrer Han

Parasit

Lucy ist gerade nicht da, sonst würde ich sie mal nachsehen lassen. Einen Spiegel haben wir leider nicht. Wir hatten mal einen, aber den hat Lucy irgendwann einmal mitgenommen und nicht wiedergebracht. Ich halte mir ein Colaglas vor das Auge, aber es spiegelt nicht genug, als dass ich was erkennen könnte. Ich ziehe mir eine Hose und ein T-Shirt an und klopfe bei Sascha, der nebenan wohnt. Er macht mir die Tür auf, wie immer im Bademantel, weil er das Haus nicht oft verlässt und irgendwie von zu Hause arbeitet. „ Hi Sascha, vielleicht habe ich irgendwie etwas angefasst und das war nicht in Ordnung oder so. Auf jeden Fall juckt mein Auge und mein Augenlid hängt irgendwie in der Ecke fest, es bewegt sich kaum, aber nur links, rechts ist es in Ordnung. Siehst du was?“ Er schüttelt den Kopf und knallt die Tür zu. Ich gehe wieder in meine Wohnung und schlage noch einmal mit meinem Handballen gegen die Wand aus Wut, weil er mir nicht helfen wollte. „ Lass mich in Ruhe, du Scheißjunkie“

Später

„ Scheiße, das kannst du doch nicht machen, was soll denn das?“ Sie fuchtelt mit so einem langen Holzstück herum und trifft ihr Weinglas genau in der Mitte. Die Splitter liegen auf dem Boden. Sie lacht. „ So will niemand aussehen!“ „ Warum denn? Jeder darf sich das aussuchen, haben wir gesagt. Wenn du aussehen willst wie Sophie Marceau, darf ich aussehen wie Karl Ove Knausgard.“ „ Aber der sieht furchtbar aus. Ungepflegt und eklig. Guck mal seine Haare an, wenn du später so aussiehst, denken alle du bist obdachlos.“ „ Wenn ich dabei so aussehe, bin ich gerne obdachlos.“ „ Du erzählst Schwachsinn. Du willst also später mal obdachlos sein, so stellst du dir deine Zukunft vor?“ „ Das habe ich nicht gesagt, ich hab nur gesagt, dass ich in Kauf nehmen würde, obdachlos zu sein, wenn ich dafür aussehe wie Karl Ove Knausgard.“ Sie hebt eine Scherbe auf, legt sie auf den Tisch und trinkt einen großen Schluck aus meinem Glas. „ Aber jetzt mal im Ernst, ist es dir so wic

Ich glaube, ich tue dir heute keinen Gefallen.

Sie kam heute früher von der Arbeit nach Hause und hat noch frische Lebensmittel mitgebracht, die ich vergessen hatte einzukaufen. Sie kam durch die Tür mit zwei dieser gepunkteten Einkaufsbeutel, warf mir einen Blick zu, der sagt: kannst du mir vielleicht mal helfen? und kam dann in die Küche geschlürft. Ich stand nur da, mit meinem Glas in der Hand und habe nichts gemacht. Ich stand auch noch da, als sie die Mortadella in den Kühlschrank räumte und die Milch, die Eier, den Apfelsaft, ein Stück Käse, den ich so gerne mag. Und dann setzte sie sich auf die Couch, stöhnte einmal, legte den Kopf nach hinten und sagte: „Was für ein Tag.“  Sie hat immer so kleine Locken über den Ohren, wenn sie erschöpft nach Hause kommt. Sie sind heller als ihr restliches Haar. Sie strich sich über die Oberschenkel, stand auf und kam zu mir herüber.  „ Ich glaube, ich tue dir heute keinen Gefallen.“, sagte sie dann, „Ich gehe sofort ins Bett. Ich bin total fertig.“ Ich ging rüber zur Couch

Schlafen

Seit ein paar Tagen essen wir in getrennten Zimmern. Es ist eine Übereinkunft, die wir getroffen haben. Ich esse etwas später als sie, meistens vertrage ich so früh kein Essen. Und sie will nie mittag essen, was für mich auch vollkommen in Ordnung ist. Sie nimmt dann ihren Teller - ich sitze in der Küche und lese – und geht damit rüber ins Wohnzimmer. Dann höre ich leise ihr Handy, weil sie darauf irgendeine Serie guckt. Einmal hat sie gesagt, ihr fehle die Kommunikation mit mir, aber was soll ich denn machen, es ist nicht meine Schuld. Ich sitze dann alleine da, bis ich Hunger kriege und esse etwas später. Dann ist sie meistens schon aus dem Haus oder, was mich manchmal um den Verstand bringt: sie liegt wieder im Bett. Ich schaffe einfach nichts, wenn sie da so im Bett liegt. „ Ich schlafe halt gerne.“, sagt sie dann. Aber ich schlafe nicht gerne, ich schlafe nur soviel wie nötig, weil ich mir meine Zeit gut einteilen muss, wenn ich meine Ziele erreichen will. Ich muss

Monster

Lino kommt meistens spät von der Arbeit. Er öffnet leise die Tür, denn er will Tara nicht aufwecken. Er legt seinen Mantel über das Sofa, damit die Kordeln nicht an die Holzverkleidung der Garderobe schlagen, davon ist sie schon einmal aufgewacht. Er schnürt seine Schuhe leise auf und schiebt sie unter den Tisch im Flur. Das fällt ihm manchmal schwer, wenn er bei der Arbeit getrunken hat, dann muss er sich auf den Boden setzen, um nicht umzufallen. Meistens geht er noch in die Küche, nimmt ein Bier aus dem Kühlschrank, umfasst den Flaschenhals und den Öffner mit der ganzen Hand und hebt den Deckel leise an, ohne dass es ploppt. Das ist wichtig, davon ist Tara schon einmal wach geworden. Wenn er dann seinen ersten Schluck nimmt, kommt es ihm manchmal vor, als wäre er wieder alleine. Die Fla s che trinkt er meistens sehr schnell aus, weil er schon müde ist und dann geht er ins Badezimmer, wäscht sich mit einem großen Schluck Mundwasser den Mund aus und geht zu Tara ins Bett. Meistens